Schauen wir einmal auf die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts: Im ehemaligen Jagstkreis1 bestanden im Jahr 1900 209 Darlehnskassen – in ganz Württemberg 860 mit insgesamt 82.310 Mitgliedern. Die Zahl der Darlehnskassen war damit in rund zwanzig Jahren von Null auf über 200 Genossenschaftsbanken gestiegen, jede Genossenschaft hatte im Durchschnitt 96 Mitglieder. Der Darlehnskassenverein Hohebach (gegründet 1898) hatte bei der Gründung 81 Mitglieder (Oberginsbach relativ zeitgleich gegründet hingegen nur 30), ein Jahr später 84 bei einem Umsatz von 140.000 M. Zusammen setzen alle württembergischen Kassen über 93,5 Mio. M um. Das Geschäftsguthaben aller württembergischen Mitglieder zusammen belief sich auf nahezu 1,3 Mio. M.2 Mal zum Vergleich: Um 1907 gab eine Familie, deren Haushaltsvorstand ein gelernter Gewerbetreibender war, rund 970 M für Lebensmittel pro Jahr aus, Heizung und Licht kosteten pro Jahr 80 M (also etwa 6,50 M pro Monat) bei einem Einkommen von 1.700 M.3 Unentschuldigtes Fehlen bei der Generalversammlung wurde in Niedernhall mit 20 Pfennigen geahndet (Beschluss der Generalversammlung 1896).4 Wer Mitglied werden wollte, hatte laut Musterstatut ein Eintrittsgeld von – je nach Genossenschaft – drei bis fünf Mark zu zahlen (in Hollenbach etwa betrug es bei der Gründung 1885 3 M).
Alle Vorgängerinstitute der RBKJ bestanden in der Rechtsform der eGmuH, eine Rechtsform bzw. eine Haftungsform, die wir heute so nicht mehr kennen: eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht. Die Mitglieder hafteten also mit ihrem kompletten Vermögen. Dieses enorme Risiko für den Einzelnen sollte eine zu große Leichtsinnigkeit bei der Geschäftsführung vermeiden, aber auch beim einzelnen Darlehnsnehmer. Damit aber im Ernstfall die Genossenschaften möglichst selbst über ausreichend Kapital verfügten, durfte die Dividende die Höhe des durchschnittlichen Zinsfußes auf Anlehen (Anleihen) nicht übersteigen.5 Auch war das Eintrittsgeld eigenes Kapital der Kasse. Zugleich war das Eintrittsgeld eine Zugangshürde, nicht aus ‚Lust und Laune‘ beizutreten, auch wurden Einwohner damit ausgeschlossen, die nicht dispositionsfähig waren, um so Risiken für die Gemeinschaft zu minimieren. Dem Wachstum der einzelnen Genossenschaften waren durch die Beschränkung auf ein Kirchspiel oder eine Gemeinde – absichtlich – Grenzen gesetzt.
Insgesamt entwickelten sich die Genossenschaften in Württemberg gut. 1904 hatten die Genossenschaftsbanken bei ihrer Zentralkasse ein Guthaben von 5,4 Mio. M, wobei je nach Ernteausfall und wirtschaftlicher Lage diese Beträge starken Schwankungen unterlagen, so dass im Frühjahr 1907 bereits die Ausleihungen an die Genossenschaften die Guthaben überstiegen. Wie aktiv die Genossenschaften waren, lässt sich eindrücklich an der Entwicklung der Buchungen bei der Zentralkasse ablesen: 1898 wurden 4.278 Einzahlungen (7,75 Mio. M) und 4.660 „Geldentnahmen“ (8 Mio. M) durch die Primärgenossenschaften vorgenommen. 1908 belief sich die Zahl der Einzahlungen auf über 12.700 und die der Auszahlungen auf etwas mehr als 9.500. in nur fünf Jahren stiegen die Posten auf über 18.000 Einzahlungen und rund 15.500 Abhebungen.6
Auch gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts Neugründungen: Im Geschäftsgebiet der heutigen RBKJ wurde am 12. November 1911 in Eberbach eine Genossenschaftsbank gegründet. 41 Personen aus Eberbach, 20 aus Unterregenbach und zehn Personen aus Oberregenbach traten der neuen Genossenschaft bei. Der Geschäftsanteil wurde auf 100 M festgesetzt. Der Umsatz betrug bereits in den ersten vier Monaten 12.000 M und auch hier wurden neben dem Geldgeschäft Bezugs- und Absatzgeschäfte für die Mitglieder abgewickelt. Am 17. Januar 1913 wurde der Darlehnskassenverein Crispenhofen-Weißbach gegründet.
Auswirkungen des Ersten Weltkrieges
Um 1914 es gab es in Deutschland ca. 1.500 gewerbliche Kreditgenossenschaften (Volksbanken) und rund 14.000 ländliche Spar- und Darlehnskassen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnten vielerorts die Generalversammlungen nicht mehr regelmäßig stattfinden. Auch kamen die Revisoren nicht mehr so regelmäßig wie das vor dem Krieg gut geübte Praxis war. Auch das Kreditgeschäft kam vielerorts zum Erliegen. Der gewerbliche Mittelstand hatte häufig volle Auftragsbücher durch Aufträge der Herresverwaltung und keinen Bedarf. Viele Geschäfte wurden bar bezahlt. Und dort, wo Landwirte oder Handwerker zu Investitionen bereit waren, fehlten Material und Arbeitskräfte. Nicht selten fehlten Rendanten, waren Gremienmitglieder zum Kriegsdienst einberufen.7 Auch wenn die Protokolle der ehemaligen Raiffeisenbank Niedernhall heute nicht mehr vorhanden sind, so wissen wir aus einer Festschrift aus dem Jahr 1988, dass wegen „zu starker Einberufung der Mitglieder zum Krieg“ die Wahlen „bis auf weiteres verschoben“ wurden, „insofern die Kollegien noch voll besetzt sind“.8 Es fehlten also auch hier nicht nur ausreichend Mitglieder für eine ordentliche Abstimmung, auch waren bei damals rund 80 Mitglieder nicht mehr alle Ämter besetzt. Es dauerte in Niedernhall bis etwa 1923 bis die Zahl der Mitglieder aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wieder erreicht werden konnte.9 Ähnlich bei anderen Kassen: Auch im Eberstaler Protokollbuch fallen die Protokolle kurz aus, für 1918 findet sich gar kein Hinweis, dass eine Generalversammlung stattgefunden hat.
Nicht selten, vor allem aber später während des Zweiten Weltkrieges, übernahmen wegen der Abwesenheit der zum Kriegsdienst eingezogenen Rechner Frauen die Aufgabe. In Hollenbach etwa war Karoline Fuchs seit 1918 Rechnerin. Sie übte das Amt 17 Jahre lang aus.10
1920 wurde bei der Ingelfinger Bank der Scheckverkehr eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Genossenschaft 250 Mitglieder – darunter viele Gewerbetreibenden (angeblich alle der Stadt). Die Einführung des Scheckverkehrs erfolgte damit relativ spät. Das Scheckgesetz zur Regelung des Scheckverkehrs in Deutschland war bereits am 11. März 1908 in Kraft getreten und viele, gerade gewerbliche Genossenschaftsbanken boten bereits den Scheck als bargeldloses Zahlungsmittel ihren Mitgliedern an.
Überlebensfrage – Inflation
Schon während des Ersten Krieges war eine langsam fortschreitende Geldentwertung spürbar geworden. Nur ein Beispiel: Der damalige Direktor der Commerzbank Ferdinand Lincke wies bereits in einer Aufsichtsratssitzung seiner Bank im Oktober 1919 darauf hin, dass alle Zahlen in der Bilanz wegen der hohen Geldflüssigkeit gestiegen seien. Die Gewinn- und Verlustrechnung entspreche zwar noch der des Vorjahres, Mehreinnahmen seien jedoch durch die Steigerung aller Kosten „aufgesogen“ worden.11 Gerade die großen Banken, aber auch für das Bankgewerbe als solches – betroffen waren aber auch Lohnbuchhaltungen, eigentlich überall, wo Waren oder Mieten zu zahlen waren – bedeutete die Inflation erhebliche Mehrarbeit.12 Gerade bei den Großbanken sorgte das Tempo der Geldentwertung für viel zusätzliche Arbeit an den Schaltern und bei der Notgeld-Emission. Vorhandene Rechenmaschinen konnten während der Hyperinflation 1923 die enormen Zahlen nicht mehr erfassen. Die ‚Flucht in die Sachwerte‘ war eine Folge.
In Niedernhall wäre die Darlehnskasse beinahe über die Inflation aufgelöst worden: Der Krieg hatte zur Folge, dass die Mitgliederzahl zurückgegangen war. Eine Beitragsforderung des Verbandes – 10 Pfennige Goldmark pro Mitglied, Geld das offenbar nicht vorhanden war – löste eine wohl intensive Diskussion über die Auflösung der Genossenschaft aus. Durch den Verkauf von Spritzmittelvorräten konnte schließlich der ausstehende Betrag aufgebracht und eine Auflösung der Genossenschaft verhindert werden.13 Auch in Buchenbach war die Situation durch die Geldentwertung so schlecht, dass man über eine Auflösung diskutieren musste, ebenso in Sindeldorf, wo die Genossenschaftsbank nicht einmal mehr so viel verdiente, um das Gehalt des Rechners zahlen zu können. Zu einer abschließenden Abstimmung kam es jedoch nicht, da nicht ausreichend Mitglieder an der Versammlung teilgenommen hatten. Das war am 5. August 1923. Am 19. August kamen die Mitglieder noch mal zu einer außerordentlichen Generalversammlung zusammen und beschlossen, die Genossenschaft nicht aufzulösen, „aber vorerst in der Kasse nicht weiter zu arbeiten bis wieder andere Zeiten kommen“.14
In Ingelfingen fand 1923 gar keine Generalversammlung statt. Warum ist nicht überliefert – vermutlich hatte auch hier die Hyperinflation die oben beschriebenen Schwierigkeiten nach sich gezogen. 1924 wurden dann die Bilanzen 1922 und 1923 genehmigt und das Geschäft auf Goldmark umgestellt, die Pflichteinzahlung angepasst, die Kreditgrenzen neu bestimmt und das Eintrittsgeld auf 3 Goldmark festgesetzt.
Mit der Einführung der Reichsmark im Jahr 1924 konnte die Wirtschaft stabilisiert werden. Die Inflation hatte vor allem die Sparguthaben vernichtet. Die von vielen Seiten geforderte Aufwertung von Sparguthaben, wurde den Sparern im Rahmen der dritten Steuernotverordnung nicht zugesichert.